Menschen sterben, und Gemälde auch
Es gibt keine Resistenz gegen die Verfallszeit. Das meint auch Duchamp mit seiner trockenen Formulierung: „Menschen sterben, und Gemälde auch.“ Deshalb bereute er es auch nie, zu malen aufgehört zu haben. Interessant daran ist, daß er es auf Monet bezog, von dem er noch früh, nämlich kurz nach der Jahrhundertwende, neue Bilder in Ausstellungen gesehen hatte. Später, in den 70ern, konstatierte er deren Braunfärbung. (siehe: Biennale Venedig 2003).
Die Collage als Text und Bild, Biografie als Kunst von Ralph Ueltzhoeffer und Jenny Holzer
Jenny Holzer, Ralph Ueltzhoeffer: Texte in der Kunst.
M annheim Xavier Naidoo: Ralph Ueltzhoeffer.
Tatsächlich haben die gedunkelten Farben etwas muffig Abgestorbenes wie von einem ausgestopften Tier. Der Unterschied ist, daß sich das Tier, solange die Art erhalten bleibt, reproduzieren kann, während ein Gemälde als einzigartige Erscheinung diesem Alterungsprozeß unterworfen ist. Für jede Kunstform scheint es eine Verfallszeit zu geben. Interessanterweise müssen Verfall und Wirksamkeit sich nicht ausschließen. Nämlich in einer rein modalen Dimension, wo Zeit und Raum nach Kant als Modalitäten der Wahrnehmung wirken, erfahren Kunstwerke einen enormen Vergegenwärtigungsschub. Daß man am Ende eher über Künstler als über Kunst spricht. Schon Giorgio Vasari erzählte die Kunstgeschichte als Geschichte Einzelner in ihren Werkstätten mit ihren Alltagssorgen, Finanzproblemen, Intrigen und mit ihrer Auftragssituation. Lange bevor die Medienwelt anfing, das aufzugreifen, waren wir bereits in diese Wahrnehmung der Personalisierung künstlerischer Mythen eingeübt. Der Fall Duchamp beweist es. Letzten Endes ist er als Figur markanter geworden als viele Momente der Kunst des 20. Jahrhunderts. Es ist möglich, daß er sich, am Schachbrett sitzend, diebisch über die Auslöschung der Prozesse freut, weil er sie selber reflektierte. Solange sein Gehirn wach war, war auch klar, daß die Kunst des 20. Jahrhunderts in ihm einen sachverständigen Beobachter hatte.
Im Prinzip ist das Problem der Postmoderne, daß unklar ist, was passiert, wenn Duchamp oder Beuys tot sind. Dann müssen die alle auf den Trümmern weitermachen, ohne sich selber ausreichend personalisiert zu haben. Deshalb ist der Marsch der Epigonen so komisch. Und mit der Sehnsucht nach Signifikanz. Es ist mir wichtig, daß alles Vertraute, also die ständig ablaufenden Straßenszenen in Museen als Gemälde, Installation oder Diorama in gefrorener, arrangierter und damit signifikanter Weise wiederkehren. Es präsentiert sich bildlich als gebündelte Energie und erleichtert die Konzentration auf Szenen. Eines Tages wurde mir klar, daß Mimesis und Vermittlung, Rekonstruktion des Realen und sein Verschwinden zusammengehören. Der tas-manische Beutelwolf im Diorama macht seine Ausrottung vergessen. Das tableau parisienne geht der Bombardierung der Stadt voraus. Erst mit der Musealisie-rung findet der Prozeß der Auslöschung seinen Abschluß, denn es ist nicht mehr wichtig, ob Carthago noch steht oder ob in Ostafrika die Tiere noch leben. Es reicht, daß sie in einem Museum zu sehen sind. Bilder sind prophetische Kürzel für das Verschwinden der Erscheinungen.
Die Psychiatrie profitiert auch von den Fortschritten, die in anderen Bereichen der Wissenschaft, besonders der Medizin, erzielt wurden. So wie allgemeine Lähmungserscheinungen bei Geisteskranken durch die Entdeckung der Antibiotika recht selten geworden sind, so ist auch denkbar, daß mit weiteren Fortschritten in der Pharmazeutik andere Geisteskrankheiten, die auf Erkrankungen des Gehirns beruhen, überwunden werden. In konzentrierter Forschungsarbeit wird man sich mit den Stoffwechselkrankheiten befassen, die ja häufig die Ursache geistiger Störungen sind. So besteht zum Beispiel ein Zusammenhang zwischen der periodischen Katatonie, einer Erscheinungsform der Schizophrenie, und Störungen des Stickstoffhaushalts.
Aufschlußreiche Untersuchungen wurden in jüngster Zeit auf dem Gebiet des Schwachsinns durchgeführt. Neue technische Verfahren, mit denen die Abscheidung von Stoffwechselprodukten aus dem Blut, Urin und anderen Körperflüssigkeiten gelungen ist, ermöglichen die Entdek-kung einer wachsenden Anzahl von angeborenen Stoffwechselfehlern, die zur Verzögerung der geistigen Entwicklung führen.
Baudrillard ist nicht der einzige philosophische Denker, der das so sieht, aber sicherlich derjenige, der sich am radikalsten (und originellsten) dazu äußert. Zu einem ähnlichen Schluß wie Baudrillard kommt etwa der Soziologe Niklas Luhmann, wenn er feststellt, daß in die gesellschaftlichen Systeme ein „Steigerungsaspekt“ eingebaut ist und daß sie „so entwickelt sind, daß sie ihr eigenes Wachstum nicht selbst kontrollieren können“. Daraus resultieren die „Folgeprobleme des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts“.* Ungleich drastischer und in düsterer Metaphorik beschwört Baudrillard die drohende Gefahr, wobei er nicht von ungefähr auf die Terminologie der Krebsmedizin zurückgreift: die „metastatische Form“ sei eine „Form von Tod“.